13.06.2019 - Gleiten statt hetzen

Ich starte in den Tag, indem ich zum wiederholten Male versuche einen "segelbaren" Turn, für die vorerst letzte Woche, die ich hier alleine verbringen werde, auszuarbeiten. Es weht kein wirklich brauchbarer Wind und das Bisschen bewegte Luft, dass es in den nächsten Tagen geben wird, wird lt. Prognosen aus irgendwelchen wechselnden Richtungen kommen. Die eineinhalb Tage öde Einhand-Motorfahrt während des letzten Turns reichen mir für's Erste. Bei dieser Affenhitze tue ich mir keinen 18 PS Motorboot Turn mehr an!

So launche ich das Dinghy und rudere einkaufen. Wenigstens ein wenig Bootfahren. Noch ist es nicht zu heiß zum Rudern! So setze ich über zum ULTRA-Markt, quer über das Hafenbecken. Mein Dinghy besteht aus einigen separaten, aufblasbaren Kammern, die unten rum quasi einen "Kiel" bilden! So lässt es sich relativ kursstabil rudern und gleitet auch super über die Wasseroberfläche. Mit meinem Edel-Dinghy schaffe ich die, lt. Navionics 0,1 NM zur Mole auf der gegenüberliegenden Hafenseite, wo ich mir einen freien Anlegeplatz zwischen den Fischerbooten suche, in wenigen Minuten.

Auf dem Rückweg kreuzen 2 Motorboote meinen hart angelegten Kurs zurück zu meinem Liegeplatz in der Marina und verhindern somit eine noch schnellere "Passage" quer über den Hafen. Grummel .... Ja, irgendwie bin ich immer auf der Suche nach neuen persönlichen Rekorden, wie es scheint! Ein Relikt aus 43 Jahren Leben in einer auf Leistung und Erfolg getrimmten Gesellschaft?

Nachdem ich die Hälfte des zuvor im Laden entstandenen Vanillestrudels verspeist habe, packe ich meinen Seesack. Strand-Handtuch, ein Packerl Marlboro Gold, Feuerzeug, Handy, Bargeld und eine der billigen Schaumstoffmatten, die ich vor ein paar Wochen für Tinas Cockpitbänke zugeschnitten habe, jedoch noch nicht wirklich in Verwendung hatte. Auch ich lerne irgendwann mal dazu! 2 Tage lang habe ich mir auf dem Schotter den Arsch wundgesessen. Das konnten die jeweils 2 eiskalten Bierchen, die ich am Kiosk erstehen konnte und im glasklaren Wasser sitzend zu mir genommen habe, auch nicht ausgleichen. Nein, heute werde ich so weich sitzen, wie die Prinzessin auf der Erbse damals wohl gebettet worden ist.

Obendrein packe ich noch ein Notizbuch in den knallroten Seesack mit der Aufschrift "MAX", welchen ich sonst für mein Ölzeug verwende. Ich habe lange nichts mehr geschrieben. Die Zeit war wahrscheinlich zu turbulent?! Ich habe einige spannende und entspannende, aufregende sowie langweilige und auch recht "prekäre" Erlebnisse gehabt, Besuch empfangen und auch ein paar wirklich nette Boots-Nachbarn kennengelernt. Manfred und Gabi aus der Steiermark, sowie Wolfgang und Ingrid aus meiner Heimat, dem Waldviertel. Die Steirer sind Motorbootfahrer, die Waldviertler Segler wie ich. So gibt es natürlich mit beiden Pärchen allerhand Stoff für nette und lehrreiche Gespräche. Die 4 sind wirklich sehr lieb, und vom, ich glaube, selben Menschenschlag wie ich!

Frage mich, ob es immer dieselbe Art von Mensch ist, die die Freiheit und Ruhe, aber auch das Abenteuer auf dem Meer sucht!? Wahrscheinlich ist es so. Ich habe hier unter den Eignern noch keinen kennengelernt, der nicht freundlich, hilfsbereit, herzlich, offen für Neues und die Ansichten anderer wäre.

Auch die Einheimischen sind größtenteils mega entspannt! So eine Hilfsbereitschaft gegenüber Fremden, kenne ich von zu Hause ebenfalls nicht. Hier wird einem oft für wenig Geld geholfen. Luka hat mir zum Beispiel bei Vielem, wie etwa bei der Organisation des neuen Dinghy-Motors geholfen, ohne irgendeine Gegenleistung zu erwarten. Die Menschen haben hier oft nicht viel! Sie hätten meine in den vergangenen Monaten oft missliche Lage schamlos ausnützen können, um so ein wenig vom Kuchen der mitteleuropäischen Wohlstandsgesellschaft abzubekommen, aber sie taten es nicht! Warum? Ist das pure Nächstenliebe? Vielleicht! Ich denke aber, dass der Grund darin liegt, dass die Leute hier, mit dem was sie haben, doch meist "gut" über die Runden kommen und nicht zwanghaft immer mehr wollen!

Das macht vermutlich den Unterschied! Wir Mitteleuropäer sind auf permanentes Wachstum (leider nicht auf persönliches Wachstum, sondern wirtschaftlich gesehen) gedrillt. Höhere Gewinne, mehr Einkommen, eine bessere Position, ... es ist ein permanenter Kampf um mehr; und das zu Kosten unseres Lebens! Wenn wir uns ehrlich sind: Arbeiten wir nicht nur deshalb so viel und verbissen, damit wir es uns eines Tages im Ruhestand gut gehen lassen können? Damit wir dann genug auf der Seite haben, um das zu tun, was wir immer schon wollten? Mit 65!? Die nach den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts geborenen wohl erst mit 70 Lebensjahren?! Bis dahin üben wir tagtäglich eine Tätigkeit aus, die uns womöglich gar keine Erfüllung bringt, nur um den entsprechenden Reichtum anzuhäufen, damit wir in Rente endlich zu leben beginnen können!

Es muss doch schön sein, wenn man nicht permanent IMMER MEHR wollen muss, sondern mit dem, was man hat, zufrieden sein kann. Viele von den Leuten hier haben vermutlich kein dickes Bankkonto. Trotzdem wirken sie meist weitaus glücklicher und vor allem entspannter als wir, weil sie vermutlich nicht so dem Reichtum und wirtschaftlichen Erfolg hinterherhetzen wie wir und vor allem mehr von jenem kostbaren Gut haben, welches uns so abgeht: ZEIT! Zeit für sich und die Dinge die man gerne tut. Zeit für Freunde und Familie. Diese entspannte Herzlichkeit, mit welcher die Leute hier feierabends am Strand mit ihren Kindern im Wasser spielen! So etwas findet man in Mitteleuropa selten.

Wir sind so in unserem Hamsterrad gefangen, verblendet von falschen Führern, den falschen Idolen, von dem, was uns tagtäglich einzureden versucht wird, was wir nicht alles haben, schaffen oder erreichen müssen, sodass wir eine vollkommen verzerrte Sichtweise auf das, was LEBEN eigentlich bedeutet, entwickelt haben.

Die Realität ist die: Wir werden alle sterben!!! Durchschnittlich stehen einem jeden von uns rund 80 Lebensjahre zur Verfügung. 60-70 davon - wenn man Kindheit/Schule/Studium/Ausbildung abzieht, bleiben immer noch 40-50 - machen wir etwas, was wir unter Umständen gar nicht wollen, nur um dann im Alter vielleicht 10, bestenfalls 20 Jahre lang endlich das tun zu können, was uns wirklich wichtig ist? Was uns Erfüllung bringt? Alter!? Wer ist so unmenschlich uns in ein System zu pressen, in welchem der Output, der wahre Gewinn nur in eine Richtung fließt; zu jenen, die ohnehin schon das meiste besitzen?! Ich denke diese Frage beantwortet sich von selbst...

Es bleibt eines jeden Menschen eigene und freie Entscheidung, bei diesem System mitzumachen, oder sich für einen anderen, entspannteren, weniger auf die ferne Zukunft, sondern vielmehr auf das Jetzt ausgelegten Lebensweg zu entscheiden. Inmitten unserer konsumgesteuerten, aus zu Egoisten erzogenen Menschen bestehenden Gesellschaft, ist es schwer, aber nicht unmöglich einen alternativen Lebensweg zu bestreiten. Wo anders ist es vielleicht leichter. Vielleicht an einem Ort, wo dem wohlkonditionierten Mitteleuropäer etwas vorgelebt wird, was eher auf das Hier und Jetzt, auf das wahre Leben ausgerichtet ist? Wo man nicht als faul abgestempelt wird, wenn man weniger schafft, dafür aber mehr lebt?!

Ich weiß es nicht! Und wie so oft weiß ich nicht, was ich will! Will ich zurück ins Hamsterrad und genauso weitermachen wie bisher? Oder mit weniger auskommen müssen, dafür aber ZEIT haben und das tun können, was mich erfüllt? Gibt es einen Mittelweg? Ich denke, den muss es geben. Auf unserer Reise von A nach B, also von Geburt zu Tod haben wir zwischendurch viele Möglichkeiten irgendwo vom Konsum-Highway abzufahren und die Landstriche abseits zu erkunden, ja zu ER-leben! Viele nützen diese Möglichkeit nicht. Legen ihre Scheuklappen niemals ab. Manche machen nur einen kurzen Abstecher ins "Outback" des wirklichen Lebens, entscheiden sich dann aber wieder auf den Highway aufzufahren und bei dieser irrwitzigen Rauschefahrt gegen die Wand (es WIRD krachen! Das ist so sicher wie das Amen im Gebet!) weiter mitzumachen. Andere zieht das, was sich eher nach LEBEN anfühlt, denn das was sie bisher als "gutes Leben" vorgegaukelt bekamen, derart an, dass sie nach einer Alternative zum Leben im Hamsterrad, auf beschriebenem Highway suchen. Ich denke, einer von denen bin ich ....

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